Wozu brauchen wir Sie, Chef?

Das Zeitalter der Robobosse – Maschinen erledigen immer komlexere Jobs. Warum nicht bald auch den des Chefs? So lautet die Überschrift eines Artikels in der WIRED Germany Ausgabe vom November 2014. Es folgen ein paar interessante Gedanken daraus:

„Eine Studie des MIT hat gerade ergeben, dass die Arbeit nicht nur effektiver wird, wenn Algorithmen die Anweisung erteilen – die Mitarbeiter empfinden ihre Tätigkeit tendenziell als angenehmer. Wissenschaftler des Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory ließen dafür in einem Testlauf sämtliche Arbeitsaufgaben erst von einem Menschen vergeben, dann von einem Roboter. Ergebnis: Die Versuchsgruppe, die vollständig von der Maschine koordiniert wurde, mochte ihre Arbeit am meisten. Sie fühlten sich verstanden und erlebten die Tätigkeit als effizient und zielführend.“

Schaut man sich die MIT Meldung dann allerdings etwas genauer an, stößt man auf Kommentare und Äußerungen wie: „The robot worker does not understand what I am trying to accomplish.“ – Dem nicht so unähnlich, was man ohnehin tagtäglich im Job erlebt. Vielleicht wurde ja auf diese Art und Weise eine gewisse Menschlichkeit des Kollegen Roboter simuliert. Dazu ist allerdings leider nichts auf der Seite zu finden.

Zumindest schien es in dem MIT-Setting um das effiziente Erreichen klarer Ziele zu gehen (besonders schön im dazugehörigen zu Video sehen). Also einer Arbeitsvorgabe aus dem 1.0 Industriezeitalter. Heute haben es Führungskräfte in vielen Arbeitskontexten eher mit Mehrdeutigkeiten zu tun, mit Komplexitäten, Abhängigkeiten, Volatilitäten und Widersprüchlichen Zielen. Eine Zufriedenheit von Mitarbeitern in diesen Kontexten zu erreichen, dürfte weitaus anspruchsvoller sein.

Doch auch in den anspruchsvolleren Arbeitsumgebungen wird zunehmend auf die Kraft der großen Zahlen gesetzt. Schon heute sind Statistiken, Daten und Crowd-Intelligenzen Grundlage für viele Entscheidungen des Topmanagements, so der WIRED Artikel weiter. „Amazon-Chef Jeff Bezos brüste sich schon heute damit, dass all seine Entscheidungen auf statistischen Analysen basieren.“ – auch das noch ein Zitat aus besagtem Artikel.

Spätestens hier wird es nun interessant. Denn wie jeder weiß, der in den letzten Jahren die Entwicklungen bei amazon verfolgt hat, ist das Unternehmen im positiven hauptsächlich durch die Geschwindigkeit seiner Lieferlogistik aufgefallen. Ansonsten ist der Internet-Versand-Gigant bislang kaum in die finanzielle Gewinnzone gekommen. Trotz Mitarbeiter-Gängelung in den Versand-Zentren und Kämpfen mit den Buchverlagen. Jeff Bezos Ziel war und ist es, mit amazon „der Amazonas des Internets“ zu werden – was auch immer das genau bedeuten mag.

Digital strukturierte Verantwortungslosigkeit

Am Beispiel von amazon und Bezos lässt sich also zum einen deutlich machen, dass eine knallharte Ausrichtung an Big Data nichts zwangsläufig zum wirtschaftlichen Erfolg führt und dass wir als Menschen am Ende immer noch einen Menschen brauchen, dem wir eine gewisse Verantwortung für das Ganze zuordnen wollen. Doch diese Zuordnung von Verantwortlichkeiten war schon immer problematisch – schon vor Big Data.

Wie in „The Halo Effect“ von Phil Rosenzweig bereits 2008 nachzulesen ist, neigen wir dazu, Kausalitäten für wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg zu sehen, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Hauptsache, wir haben eine Erklärung und können womöglich daraus Best Practices für uns ableiten.

Der oben bereits mehrfach zitierte WIRED Artikel führt weiter aus: „…wenn die Manager aber ohnehin nur noch ausführen, was ihnen die Daten, die ihnen meist von externen Anbietern zur Verfügung gestellt werden, nahelegen, bedüfte es nicht einmal besonders komplexer Rechensysteme, um sie zu ersetzen.“ Zu einem ähnlichen Schluss kommt Yvonne Hofstetter in Ihrem vieldiskutierten Buch „Sie wissen alles“. In Hofstetters Buch heißt es dazu: „Denn hat eine Maschine erst einmal festgestellt, was die optimale Entscheidung auf Basis einer gesicherten, statistisch aussagekräftigen Datenlage ist, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur automatischen Ausführung und Überwachung einer solchen Entscheidung mit entsprechender Nachsteuerung, sollte sie nicht die gewünschte Wirkung entfalten.“

Haben wir also bald das nachsteuernde (Top-)Management? Oder ist es bereits Alltag? Technologisch betrachtet sicherlich. Die zahlenbasierten, betriebswirtschaftlichen und logistischen Entscheidungen werden zukünftig ab einem bestimmten Punkt sehr viel effizienter von vernetzten Maschinen vollbracht werden. Daraus ergeben sich allerdings zwei zwingende Fragen für das Management: Wie steht es mit der Verantwortungsübernahme und Haftungsfragen für jene Maschinenentscheidungen und wofür wird das Management zukünftig bezahlt werden, wenn nicht für das Analysieren, Bewerten und Entscheiden?

Zum einen wird sich, wie beim selbstfahrenden Auto, die Frage stellen, wer dann noch Verantwortung für die Aktivitäten der Organisation übernehmen kann. Wer haftet im Zweifelsfall? Die Software? Wohl kaum. Die Programmierer? Die Anwender? Welche andere Personengruppe könnte in Frage kommen? Oder läuft diese Form der zunehmenden Abstraktion von Entscheidungsprozesse nicht auf ein Mehr an „strukturierter Verantwortungslosigkeit“ hinaus, worauf bereits Josef Weizenbaum in den Inseln der Vernunft im Cyberstrom hingewiesen hat: „Unsere Gesellschaft hat die Technik entwickelt, Verantwortung so zu verteilen, dass niemand sie hat.“ Handelt es sich bei der künstlichen Intelligenz von Big Data womöglich im Großen und Ganzen um eine digital strukturierte Verantwortungslosigkeit? Wer oder was kann für die selbstständigen Optimierungsberechnungen der Maschinen zur Rechenschaft gezogen werden?

Wenn jeder verantwortlich sein kann, ist es am Ende keiner.

Würden die Erbauer der Brücke unter ihr schlafen wollen?

Die Haftungsfrage ist für Manager ohnehin eine sehr sensible. Es ist ein besonderes juristisches Feld, das von der Vertragsgestaltung bis hin zu Versicherungsabschlüssen reicht. Ein neueres Beispiel ist im Falle des Ex-BER Managers Reiner Schwarz zu sehen, der erfolgreich die Weiterzahlung seines Gehalt einklagen konnte. Interessant ist diese Beispiel insbesondere dadurch, dass man sich vor Augen halten muss, dass kein Manager diesen Job zu anderen Bedingungen gemacht hätte, als zu denen, unter denen auch Schwarz antrat. Da er erfolgreich die Weiterzahlung einklagen konnte, bestand anscheinend zu keinem Zeitpunkt wirklich die vertragliche Gefahr, als Konsequenz für Missmanagement frühzeitig entlassen zu werden oder anderweitig rechtlich belangt zu werden. Sonst hätte er den Job wohl nicht übernommen.Was allerdings geschieht, wenn keine Verantortlichkeiten zu erkennen sind, dafür sind der BER und auch andere Großbauprojekte leuchtende Beispiele. Ja, wo viel Geld investiert werden muss, können auch konstenintensive Fehlplanungen entstehehen. Allerdings müssen sich Manager wie Bezos und auch Schwarz die Frage gefallen lassen, wer dann (wenn nicht sie) das Risiko trägt. Es läuft auf ein ähnliches Spiel, wie bei den Banken hinaus: es sind entweder die Steuerzahler (Subventionen für amazon, Auffgangmilliarden für die Finanzhäuser), schlecht bezahlte Hilfsarbeiter (amazon-Logistik) und andere Selbstständige und Unternehmer (Flughafenläden-Betreiber, Verlage, Autoren), die sich nicht entsprechend absichern können.

Es gibt übrigens die Sage, dass die alten Römer ihre Brückeningenieure unter den Brücken haben schlafen lassen, so dass sie sicher gehen konnten, dass sie ihr Bestmöglichstes taten, dass die Brücken nicht einstürzen. Wie sieht die Brücke aus, uner dem das Management gut schlafen kann? Könnte es also zukünftig womöglich darum gehen, dass das Management dafür bezahlt wird, sich wieder mehr mit Verantwortlichkeiten auseinander zu setzen? Auch Aktionäre und Analysten wollen wissen, wo die investierten Gelder bleiben und wer zur Rechenschaft gezogen werden kann, wenn nicht gut gewirtschaftet wird.

Vielleicht wird es für Manager zunehmend darum gehen, ihren Managementbereich so zu gestalten, dass sie dafür Verantwortung übernehmen können. Dies kann sogar unter Umständen bedeuten, Bereiche zu definieren, die nicht zahlenbasiert sein dürfen, wo ein sogenanntes De-Management stattfinden muss. Wo und wie können Dämme gegen die Allgegenwart von Big Data gezogen werden? Wie sehen Organisationsstrukturen aus, die eine bessere Verantwortungsübernahme ermöglichen?

Je mehr in Zahlen gegossen werden kann, desto mehr kann es auch in Geldpotenziale übersetzt werden. Vermeintlich. Wie das Beispiel amazon und BER zeigt, ist dem nicht zwangsläufig so. Womöglich geht es um eine intelligente Balance zwischen den Bereichen wo es Sinn macht, sie zu Verdaten und denen, wo Qualitäten und andere Werte auf der Strecke bleiben – wie zum Beispiel Fragen der Verantwortungsübernahme.

Die Frage nach der Zuschreibungen von Schuld, aber auch von Erfolg ist eine ganz zentrale im Zeitalter von Big Data. Zumal klar ist, dass alles, was technisch möglich ist auch vorangetrieben werden wird. Doch der Umgang mit Schuld, mit richtig oder falsch ist am Ende ein ethischer. Hofstetter spitzt es am Ende darauf zu, dass wir dabei sind, eine neue Atombombe zu erfinden. Eine Atomtechnologie, die nicht nur in der Wüste Nevadas getestet und auf tragischste Weise in Japan zum Einsatz kam, sondern diesmal eine Technologie entwickeln, die bereits unser ganzes Leben, egal ob privat oder in den Unternehmen, durchzieht. Die ihr volles Potenzial noch nicht erreicht hat. Doch ähnlich wie bei der Entwicklung der Atombombe ist schon jetzt abzusehen, dass es niemanden, keine Personen und keine Organisationen gibt, die die weitere technologische Entwicklung und ihren Einsatz stoppen oder zumindest wirklich Eifluss auf die Rahmenbedingungen für den Einsatz nehmen kann. Während Atomreaktoren mittlerweile über ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem verfügen und es dennoch zu Katastrophen wie Fokushima kommen kann, so haben wir für den Einsatz von Big Data noch nicht eimal ein halbwegs funktionierenden System an weltweit geltenden Sicherheitsregeln für den Einsatz in Unternehmen und in unseren Gesellschaften.

Technologie fordert unsere Wertvorstellungen heraus

Sherry Turkle bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: “TECHNOLOGY CHALLENGES US TO ASSERT OUR HUMAN VALUES, WHICH MEANS THAT, FIRST OF ALL, WE HAVE TO FIGURE OUT WHAT THEY ARE.” Wir entwickeln Technologien und bringen sie zum Einsatz, ohne wirklich zu wissen, wozu.

Wie wollen wir arbeiten? Haben wir ein Gespür dafür, wie sich gute Arbeit wirklich anfühlt? Haben wir es jemals erlebt, was es heißt, verantwortungsvoll, spielerisch, fehlertolerant und kooperativ zusammen zu arbeiten? Wenn wir eigentlich gar nicht genau wissen, wie so eine Art zu arbeiten funktioniert, wie sie sich anfühlt und welche Gefühle und Emotionen dabei entstehen – wie können wir dann davon ausgehen, dass die Technologien, die wir entwickeln uns wirklich auf dem Weg dorthin zu Diensten sein werden?

Vielmehr sollte die Zukunft des Managements darin bestehen, neue Erfahrungsräume anzubieten. Es sollten Handlungsspielräume eingeräumt werden, in denen Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, positive Erfahrungen machen können. Das Ausprobieren solcher neuen Erfahrungsräume kann die eigene Haltung und damit auch künftige Handlungen positiv beeinflussen. Ändert sich der Einzelne zum Positiven, wirkt sich das schließlich auf die Qualität unserer Organisationen aus.

Diese Empfehlung habe ich den Ergebnisse eines Workshops von Stefan Bergheim vom Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt entlehnt und auf das Management bezogen, da die Verantwortung für gesellschaftliche Veränderungen auch dort zu suchen ist.

Es lässt sich also runterbrechen, dass Chefs in Zukunft eher ein De-Management betreiben sollten, um Freiräume für das Ausprobieren von Arbeitsweisen zu schaffen. Erst wenn das Team, die Gruppe, die Organisation eine körperlich-emotionale Idee davon hat, wie zusammen gearbeitet werden soll, gilt es, die entsprechende Software und Datenunterstützung einzubeziehen. So könnte auch Big Data ein Management-Potenzial werden, auf das man zurückgreifen kann. Aber nicht muss.

Jeder Manager sollte für sich und seine Mitarbeiter ein hohes Maß an Freiheit verlangen. Aber nicht an Verantwortungslosigkeit.

Letztendlich ist ein offensiverer und kritischerer Umgang des Managements mit den Möglichkeiten von Big Data auch im Interesse des Managements. Schließlich zeigt sich am Horizont mit Apple Watch und Co., dass zukünftig auch das Stressniveau von Führungskräften besser überwacht werden kann. Schließlich muss man nur die Daten aus dem Kalender mit den Puls-Daten verbinden und schon weiß man, wie sich die jeweilige Person im Kundengespräch geschlagen hat. Und ob es nicht hätte besser laufen können…

Das Ganze dann noch ergänzt um die Überwachung des Schlafverhaltens durch Firmen wie Soma Analytics und schon lassen sich wunderbare, zahlen- und wertebasierte Aussagen darüber treffen, wer womöglich zu den nächsten 15% der schlechtesten und unproduktivsten Mitarbeitern gehört, die gehen müssen. Ein ganz neutrales, rechnerisches System der Mitarbeiteroptimierung. Zukünftig sicherlich bis ganz nach oben. Mit welcher Begründung kann man als Führungskraft zum Stress-Test für Manager dann noch nein sagen?

Zukünftig wird man immer bessere Gründe brauchen, wenn man gefragt wird: Chef, wozu brauchen wir Sie?
Am besten, man sucht sie schon heute. Gemeinsam mit den anderen Stakeholdern.

 

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