Der M-Faktor

„Wir wissen, dass unser R-Faktor nicht unter 0,7 liegt, er liegt meistens bei 0,8 bis 0,85.“ Wenn das mutierte Virus „um 0,3 aggressiver ist, würde unser Reproduktionswert wieder bei über eins liegen, das heißt, wie würden sehr schnell im exponentiellen Wachstum sein.“
So wird Angela Merkel im aktuellen Spiegel zitiert. Ergänzt darum, „dass die Kanzlerin sich am Wochenende in Studien und Statistiken eingräbt, mit Virologen telefoniert und selbst das Rechnen beginnt, mit Unterstützung ihres Kanzleramtschefs Helege Braun, eines Arztes, der die Pandemiepolitik auch am liebsten entlang von Kurven und Tabellen gestaltet.“

Willkomen vor dem #CoronaDashboard!

Während die einen die Zahlen und Statistiken betrachten, daraus Handlungen ableiten und auch umsetzen können, bleibt dieses Dashboard für die meisten lediglich eine Begründung für Vorschriften, denen Folge zu leisten ist.
Aber kennen wir das nicht auch aus vielen Unternehmen, in denen das Management mit Salesforce oder SAP via Tableau oder anderer Software versucht, datenbasiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu steuern?

Wie wir aktuell erleben, erweist sich die Steuerungsphantasie des Managements auf einer gesellschaftlichen Ebene als noch komplexer und chaotischer, als auf der organisationalen Ebene.
Während die einen die Probleme in der nicht ausreichenden Digitalisierung (der D-Faktor der Krise) und dem Mangel an Datenqualität sehen, sehen die anderen das Problem darin, die Krise allzusehr nach Kennziffern steuern zu wollen und das menschliche Maß dabei aus dem Blick zu verlieren. „[…] Private Treffen mit Künstlern, Schauspielern oder alten Freunden beim Wein sind weitgehend gestrichen. „Es gibt wenig Ablenkung in ihrem Leben gerade“, heißt es aus ihrem Umfeld,“ heißt es weiter im Artikel.
Doch würde die Beschäftigung mit den menschlichen Aspekten der Krise (der M-Faktor), den „Ablenkungen“ vielleicht sogar enormes Potenzial bergen für neue Ideen, für neue Energien und neue Herangehensweisen?

Taktische Improvisation

Vielleicht ist es in Teilen sogar der D-Faktor, der gemeinsam mit dem R-Faktor in der Krise das Geschehen bestimmt – zu Lasten des M-Faktors. Der menschliche Faktor scheint auch an anderer Stelle digital gehemmt zu sein: „Seit die politische Welt von Videoschalten dominiert wird, finden viele Zitate, Satzfetzen, Ausbrüche Merkels den Weg in die Öffentlichkeit, auf Twitter, auf Nachrichtenseiten wie SPIEGEL.de und oft in die „Bild“-Zeitung. Nicht nur echte auch unvollständige, kontextfreie, falsche Sätze, klagen Merkels Unterstützer. Die ständigen Indiskretionen und Missverstädnisse würden an den Nerven der Kanzlerin nagen.“

Aus Angst, falsch zitiert zu werden, politisches Kapital zu verspielen, wird technisch vermittelt, auch technisch agiert, juristisch abgesichert. Ähnlich den Vorständen auf ihren Bilanzpressekonferenzen oder bei Krisenstatements. Dabei geht es stets um Zahlen, Daten, Fakten, aber nur in den seltensten Fällen um Beziehungsgestaltung, um spontanes, freies Agieren.

Jede Organisation kommt in Krisen an ihre Grenzen. Insbesondere an die Grenzen ihrer festgelegten Prozesse. An die Grenzen der klaren Zuständigkeiten. Was dann greift sind die informellen Strukturen und Kommunikationsprozesse. Das taktische Improvisationsvermögen der Organisation. Als „Ideal“ greifen dabei die Kriterien von sogenanten „Hoch zuverlässigen Organisationen“, wie Feuerwehren, Flughäfen, Atomkraftwerken, Versorgungsunternehmen, Krankenhäuser etc. Das Improvisationsvermögen zeigt sich u.a. in den sofortigen Feedbacks auf Entscheidungen und der Zeithorizont, der eher auf Sekunden basiert, als auf Stunden oder gar Tagen.

Besseres Zusammenspiel von RDM

Die beste Improvisation findet immer noch zwischen Menschen statt. Nicht unbedingt zwischen Maschinen und auch nicht unbedingt zwischen Menschen und Maschinen. Doch leider scheint der Raum für zwischenmenschliche Improvisation zum einen durch die o.g. Ängste kleiner geworden zu sein. „Seit der Pandemie gibt es keinen geschützten Raum mehr für das politische Gespräch, für Journalisten ist das eine günstige Entwicklung. Für Politiker bedeutet es, theoretisch jeden Satz so sorgsam wägen zu müssen, als sagte man ihn vor laufender Kamera. Und für eine Bundeskanzlerin, die auch nach gut 15 Jahren im Amt bisweilen ungelenk kommuniziert, muss es ein unterträglicher Zustand sein.“

Es ist mindestens so ein unerträglicher Zustand, wie für alle Lagermitarbeiter von Amazon, die kaum bis keine eigene Entscheidungen treffen können, deren Manager aber auf ihren Dashboards vermeintlich alles im Blick haben. Natürlich stellt sich stets die Frage, wo es Planung, wo es feste Prozesse braucht und wo Improvisation. Doch ähnlich wie bei Amazon, kann das reine Funktionieren der Arbeitskräfte genauso wenig langfristig funktionieren, wie ein langfristiger, politisch planbarer Lockdown – mit unplanbaren Folgen für die Wirtschaft. Es braucht ein wechselseitiges Zusammenspiel zwischen Planungen und Improvisationen. Auf beiden Seiten.

Was es in der aktuellen Krise braucht, ist eine ausgewogene Mischung zwischen den Faktoren R, D, M und ein höchstmaß an taktischem Improvisationsvermögen. Wer mehr darüber erfahren möchte, kann gerne Kontakt aufnehmen. 😉

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