Social Prototyping – Wie Führung und Zusammenarbeit in hybriden Arbeitswelten gelingt TEIL I

Stellen Sie sich einmal vor, sie werden als erfahrene Führungskraft in einem Konzern für ein sehr anspruchsvolles Projekt angefragt. Die Aufgabe besteht darin, in der Funktion als neuer Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, das soeben vom Konzern aufgekauft wurde, jenes Unternehmen in die Konzernstrukturen zu überführen.

Neben den juristischen, organisationalen und technologischen Herausforderungen stellen sich natürlich auch zentrale Personalfragen. Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden übernommen? Wie werden die neuen Führungsstrukturen aussehen? Welche Positionen gibt es in der neuen Organisation? Wie (er-)findet sich das Führungsteam neu?

Diese Aufgaben an sich wären sicherlich schon eine große Herausforderung – jetzt stellen Sie sich vor, dass noch etwas weiteres dazu kommt: Eine globale Pandemie!

Genau das geschah Anfang 2020. Das, was offline als flankierende Maßnahme für die Führungskräfte des Mittelständlers gedacht war, musste schlagartig offline und online stattfinden. Gerade in Zeiten eines massiven Umbruchs für das Unternehmen, kamen zusätzliche Unsicherheiten und Risiken ins Spiel. #VUCArona hoch zehn!

Social Prototyping in Aktion (c) medienMOSAIK 2021

Keiner konnte wissen, was unter diesen Umständen erfolgversprechende Maßnahmen der Pre-Merger-Integration sein konnten. Was brauchte die Führungsmannschaft? Wie konnten Unsicherheiten und Fragen online adressiert und geklärt werden? Wie würde man mit Konflikten und Widerständen online und offline umgehen können? Welche anderen Themen würden plötzlich bearbeitet werden müssen? Es musste auf Sicht gefahren werden. Doch was häufig eher negativ als Zwang zur Improvisation beschrieben wird, lief in der Praxis auf die professionelle Anwendung von Social Prototyping in und für einen hybriden Arbeitskontext hinaus.

Social Prototyping

Die Merger-begleitende Maßnahme für die Führungspersonen musste von Anfang an mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmer Co-designt werden. Zum einen, weil nicht klar war, wie diese unter den neuen Rahmenbedingungen durchgeführt werden konnte, zum anderen, weil zu Beginn nicht klar sein konnte, auf welche Inhalte es in der Praxis ankommen würde und welche Themen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschäftigen würden.
Dazu war ein kontinuierlicher Kommunikations- und Abstimmungsprozess zwischen den Führungskräften, der Geschäftsleitung und dem externen Berater notwendig. Dabei galt es, fortlaufend die Spielregeln zu klären, die es zu Berücksichtigung galt, die Stories zu berücksichtigen, die sich jede und jeder über den Prozess erzählte und die individuellen Rollen zu reflektieren, die sich wiederum aus diesen Geschichten und Regeln ergaben (Abb 1).

Abbildung 1

Während derartige Merger und Change-Prozesse normaler Weise von langer Hand geplant werden und es natürlich auch klar ist, dass an der einen oder anderen Stelle nachgesteuert werden muss, musste die Begleitung der Führungskräfte in diesem Fall on the fly passieren. Themensetzungen und Stories änderten sich, Methoden und Spielregeln der Zusammenarbeit mussten angepasst werden.

Allerdings ergab sich daraus in mehrfacher Hinsicht ein Walk-the-talk. Nicht nur die Führungskräfte mussten unter massiver Unsicherheit agieren, sondern auch die Geschäftsführung und die externe Begleitung. Somit war schnell eine zentrale Fragestellung gefunden: „Wie wollen wir unter #VUCArona-Bedigungen zusammenarbeiten und gemeinsam diesen Merger gestalten?“und damit der Prototyping-Impuls für das Social Prototyping.

Auch unter „normalen“ Arbeitsbedingungen (falls es die noch irgendwo geben sollte) sollten sich, in Anlehnung an den in diesem Jahr leider verstorbenen Philosophen und New Work Pionier Frithjof Bergmann, immer wieder alle fragen: „Wie wollen wir eigentlich wirklich, wirklich zusammenarbeiten?“. Insbesondere durch das in der Pandemie erlebte, komplexe Zusammenspiel von digitalen und analogen Formen der Zusammenarbeit, sollte diese Frage aktuell lauten: „Wie wollen wir wirklich, wirklich hybrid zusammenarbeiten?“

Während es im Design Thinking das „Rapid Prototyping“ für Services und Produkte gibt, werden Fragen der hybriden Zusammenarbeit leider nur selten mit „Prototypen“ bearbeitet. Dabei ist es zunehmend wichtig zu akzeptieren, dass Formen und Prozesse der Zusammenarbeit, die heute gut funktionieren, übermorgen schon obsolet sein können. Sei es aufgrund neuer, digitaler Kommunikationswerkzeuge, aufgrund neuer Kolleginnen und Kollegen, aufgrund neuer Räumlichkeiten (neues Büro, Home Office, Co-Working Spaces etc.) oder aufgrund generationaler oder kultureller Unterschiede in der Zusammenarbeit und Kommunikation.

Social Prototyping Iterationen

Auch und insbesondere neue Formen von Remote-Work können es notwendig machen, die gefunden Formen der Arbeitsprozesse auf den Prüfstand zu stellen. Social Prototyping Iterationen können dabei, je nach Anliegen und Fragestellung zwischen einem Monat und einem Jahr stattfinden. Dabei folgen in der Regel nach der Schärfung der Fragestellung und eines Game-Designs im ersten Block, die iterativen Prototyping-Sessions in zwei weiteren großen Blöcken. Diese können ihrerseits analog, wie auch online durchgeführt werden. Eine Session dauert dabei ca. 3-4 Stunden und dient der Analyse von Prozessen, Regeln und Prinzipien der Zusammenarbeit (Spielen/Spielregeln) und von Stories (Emotionen und Sinnzusammenhänge). Bereits im zweiten Block können auch schon Rollen-Themen betrachtet werden, zumeist erfolgt dies allerdings erst im dritten und vorerst letzten Block (Abb 2).

Abbildung 2

Zischen den Blöcken und Sessions finden die jeweiligen Transfer- und Anwendungsphasen statt.

Speziell im Falle des Mergers ging es darum, die Spielregeln der einen Organisation mit den Spielregeln der anderen Organisation in ein Zusammenspiel zu bringen. Natürlich waren letztendlich die Spielregeln des Konzerns die maßgeblichen – allerdings stets mit dem Blick darauf, die Strukturen der Zusammenarbeit und das Zusammenspiel der Kompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des mittelständischen Unternehmens weitestgehend zu erhalten. Es wurde schnell deutlich, dass es dabei eine Vielzahl an Konfliktpotenzialen für die einzelne Führungskraft und ihre Rolle(n) zu berücksichtigen gab (Abb. 3.).

Abbildung 3

Im 2. Teil geht es in einer Woche dann weiter mit den Games, Stories und ganz speziell: Den Rollen!

Die Autoren

Martin A. Ciesielski ist geschäftsführender Gesellschafter der medienMOSAIK GbR – Atelier für neue Kommunikationskulturen. Er berät, trainiert und coacht in Fragen digitaler Führung, digitaler Zusammenarbeit und digitaler Transformation. Er kombiniert in seiner Arbeit medienpsychologisches Know How mit systemischen Führungsansätzen und Methoden der Angewandten Improvisation. Kontakt: www.medienmosaik.de mc@medienmosaik.de

Thomas Schutz ist promovierter Molekularbiologe (Virologe), zertifizierter Lerntherapeut und lizensierter Analyst und Berater für Talent- und Kompetenzdiagnostik und -entwicklung. Lehrbeauftragter für Lern- & Schlüsselkompetenzen und Entwicklung neuer Didaktikkonzepte als auch Wissenschaftler für die Digitalisierung in der Lehre, der Medizin und im Medizinstudium. Kontakt: www.mathetica.de DigitaleFuehrung@lerndichgluecklich.de

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