Social Prototyping – Wie Führung und Zusammenarbeit in hybriden Arbeitswelten gelingt TEIL II

Games, Stories und Rollen

Diese resultierten zum einen aus juristischen Fragen, aber auch aus organisationalen, technologischen und psychologischen Herausforderungen. Die Transparenz über diese Herausforderungen bei der Synchronisation der Spielregeln wurde u.a. in den Prototyping Session dadurch hergestellt, indem anhand eines Bildes von einer Hafen-Szenerie die Führungskräfte dazu angehalten wurden, über ihre aktuelle Position und Sicht auf das „Einlaufen in den Konzernhafen“ zu reflektieren. Gleichzeitig half diese Methodik dabei, ins Geschichtenerzählen zu kommen. Geschichten transportieren stets auch Werte und zeigen damit auch auf, was jemanden wichtig ist. Alle Beteiligten bekamen dadurch einen sehr persönlichen Eindruck darüber, wie die anderen die Situation wahrnahm und in welchen Rollen sie sich selbst und andere sahen.

Was ansonsten eher implizit wirkt und gärt, bekam durch das Prototyping einen expliziten Ausdruck, eine Visualisierung und ein gemeinsames Reflektieren und Verständnis (Abb. 4)

Abbildung 4

Ähnliches gilt für den „Merger“ zwischen der digitalen und der analogen Arbeitswelt. Am Ende des Tages ist es kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch, dass für die erfolgreiche Zusammenarbeit in einer hybriden Arbeitswelt gestaltet werden muss. Denn die digitale Arbeitswelt prägt mit ihren Werkzeugen, kurzen Aufmerksamkeitsspannen etc. auf die Offline-Welt, wie auch die Offline-Welt mit ihren hohen Ansprüchen an informelle Kommunikation und Begegnung entsprechende Ansprüche an Umgangsformen und Tools im digitalen Raum stellt.

Hinzu kommt, dass im Zuge von Home-Office und Co. die digitale Arbeitswelt auch noch aus einem anderen Kontext als zuvor bespielt werden muss. Rollenkonflikte und Rollenwidersprüche sind dabei quasi vorprogrammiert. Gerade auch mit der zentralen Perspektive auf Rollen, kann Social Prototyping auch hier helfen, neue Verhaltens- und Kommunikationsweisen auszuprobieren.

Rollenkompetenz

Während Rollen aus agilen Arbeitskontexten bereits ein bekanntes Strukturelement sind, bekommen sie im Rahmen von Social Prototyping-Prozessen noch eine weitere Qualität: Sie dienen der Betrachtung sozialer Dynamiken. Diese Perspektive auf soziale und energetische Dynamiken im Unternehmen zielen am Ende darauf, Rollenkompetenzen bei den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Führungspersonen zu entwickeln.

Im Rahmen des Mergers ging es dabei auch um die Flexibilität im Perspektivwechsel auf die sich fortwährend ändernden „Spielregel“ – sei es durch den Konzern, sei es durch Corona. In Gruppen zu je 3-4 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden die Perspektiven des Realisten, des Kritikers und des Träumers in Hinblick auf den Merger eingenommen (Abb. 5). Gleiches ist in einem anderen Rahmen möglich, um sich z.B. mit den Chancen und Risiken der hybriden Zusammenarbeit aus verschiedenen Perspektiven zu nähern.

Abbildung 5

Eine weitere Möglichkeit, soziale Dynamiken zu erzeugen, bietet die Methode der „Status-Arbeit“, die dem Improvisationstheater entlehnt ist. Keith Johnstone, einer der Begründer des modernen Improvisationstheaters, entwickelte diese Methode, um Dynamiken zwischen den Figuren auf der Bühne anzuregen, bzw. beeinflussbar zu machen (Abb. 6). Dabei ist es immer wieder faszinierend zu sehen, wie sich Geschichten und Figuren auf der Bühne verändern, allein dadurch, dass sie sich in ihren Stati zueinander verändern (wenn z.B. der König plötzlich vom Diener dominiert wird oder die professionelle Unternehmerin von ihrer kleinen Tochter).

Abbildung 6

Macht man diese Erfahrung ein paar Mal auf spielerische Art und Weise, bemerkt man schnell, dass auch die alltäglichen Dynamiken und Inhalte im Arbeitskontext eher durch Statusfragen bestimmt werden, als durch sachliche Argumente oder gar Sachzwänge. Gleichzeitig bietet das Satus-Konzept auch die Möglichkeit die Balance zwischen Konkurrenz und Kooperation in der Organisation auszuloten. Wie leicht fällt es der Kollegin, in einen Hochstatus zu wechseln, wenn es der Kollege tut? Wie schnell gibt die Chefin nach (Wechsel in einen Tiefstatus), wenn die Kollegin souverän gute Argumente vorträgt (Hochstatus) (Abb. 7). Welche Formen von Konkurrenz oder Kooperation gibt es im Falle von zwei Menschen, die sich entweder beide im Hochstatus oder beide im Tiefstatus begegnen? Wie werden diese Formen sozialer Dynamik in hybriden Arbeitsumgebungen ausgehandelt, wenn z.B. im digitalen Raum bestimmte Möglichkeiten dazu, wie Körpersprache, nur sehr begrenzt zum Tragen kommen?

Abbildung 7

Social Prototyping als Querschnittskompetenz zur selbstorganisierten Führung in hybriden Arbeitskontexten


Gerade in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit wie gerade jetzt während der Corona-Pandemie ist gerade die Kompetenz als Selbstorganisationsfähigkeit von größter Bedeutung und die Lösung an sich: „Kompetenzen kennzeichnen die Fähigkeiten eines Menschen, eines Teams, eines Unternehmens, einer Organisation, in Situationen mit unsicherem Ausgang sicher zu handeln“ (Heyse, 2007, S. 21).

Die Fähigkeit zum selbstorganisierten Handeln gewinnt nicht nur in Corona-Zeiten weltweit an Bedeutung: Bei zunehmender Komplexität des menschlichen Zusammenlebens, insbesondere der globalen Wirtschaftsbeziehungen und den gehandelten Produkten und Dienstleistungen, müssen Individuen ebenso wie Gruppen und Organisationen bzw. Unternehmen in der Lage sein, auch in neuen, unbekannten Situationen sicher zu handeln und neue Arbeits- und Kommunikationsweisen professionell erproben – dabei kann Social Prototyping ein wichtiges Werkzeug sein..

Von fast allen Kompetenzforschern werden neben den Metakompetenzen als Fundament einer differenzierten Kompetenzarchitektur (vgl. Erpenbeck, 2013, S. 314) die vier Basiskompetenzgruppen („key competences“) in ähnlicher Weise genutzt (vgl. Erpenbeck, 2013, S. 315):

  • Personale Kompetenzen
  • Aktivitätsbezogene Kompetenzen
  • Fachlich-methodische Kompetenzen und
  • Sozial-kommunikative Kompetenzen

Diesen vier Basiskompetenzen konnten 64 unternehmenscharakteristische Teil-/Schlüsselkompetenzen zugeordnet (Heyse & Erpenbeck, 2004, XVIII) werden u.a. die Dialogfähigkeit (S/P) als Fähigkeit, sich auf andere im Gespräch einzustellen. Weiterhin gibt es Kompetenzen, die selbst keine genuinen Teilkompetenzen sind, aber durch ein Bündel von Basis- und Schlüsselkompetenzen in einer Überschneidungssituation beschrieben werden können: Die Querschnittskompetenzen (Erpenbeck, 2013, S. 317). Zu ihnen zählen die professionelle und praktische Durchführung von Social Prototyping Iterationen – nicht nur für erfolgreiche Pre- und Post-Merger Begleitungen sondern auch beim „Merger“ von digitalen und analogen, hin zu hybriden Arbeitswelten.

Social Prototyping in Action (C) medienMOSAIK 2021

Mehr zum Thema

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    Martin A. Ciesielski und Thomas Schutz vermitteln in diesem essential kompakt fundiert, praxisnah und durchaus humorvoll, wie sich in #VUCArona-Zeiten digitale Führung und Zusammenarbeit gestalten und entwickeln lassen. Neben der Entwicklung digitaler Führungskompetenz braucht es auch verstärkte, virtuelle Präsenz, mehr Resonanz und digitale Achtsamkeit. Anhand von Praxis-Beispielen und mit Hilfe von Social Prototyping zeigen sie konkrete Methoden und Möglichkeiten der Umsetzung auf.
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Die Autoren

Martin A. Ciesielski ist geschäftsführender Gesellschafter der medienMOSAIK GbR – Atelier für neue Kommunikationskulturen. Er berät, trainiert und coacht in Fragen digitaler Führung, digitaler Zusammenarbeit und digitaler Transformation. Er kombiniert in seiner Arbeit medienpsychologisches Know How mit systemischen Führungsansätzen und Methoden der Angewandten Improvisation. Kontakt: www.medienmosaik.de mc@medienmosaik.de

Thomas Schutz ist promovierter Molekularbiologe (Virologe), zertifizierter Lerntherapeut und lizensierter Analyst und Berater für Talent- und Kompetenzdiagnostik und -entwicklung. Lehrbeauftragter für Lern- & Schlüsselkompetenzen und Entwicklung neuer Didaktikkonzepte als auch Wissenschaftler für die Digitalisierung in der Lehre, der Medizin und im Medizinstudium. Kontakt: www.mathetica.de DigitaleFuehrung@lerndichgluecklich.de

Fachliteratur

Erpenbeck, J. (2013): Was „sind“ Kompetenzen? In: W. G. Faix, J. Erpenbeck & M. Auer (Hrsg.): Bildung. Kompetenzen. Werte.Stuttgart: Steinbeis-Edition, S. 297-353.

Gosling, J. & Villiers, P (2013) Fictional Leaders. Heroes, Villains and Absent Friends. New York: palgrave macmillan.

Heyse, V. (2007): Strategien – Kompetenzanforderungen – Potentialanalysen. In: V. Heyse & J. Erpenbeck (Hrsg.): Kompetenzmanagement – Methoden, Vorgehen, KODE und KODEX im Praxistest. Münster: Waxmann, S. 11-179.

Heyse, V. & Erpenbeck, J. (2004): Kompetenztraining – 64 Informations- und Trainingsprogramme. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Johnstone, K.(2004): Impro – Improvisation und Theater. 7. Auflage 2004. Alexander Verlag Berlin

Johnstone, K. (2002): Theaterspiele – Spontaneität, Improvisation und die Kunst des Geschichtenerzählens. 4. Auflage 2002. Alexander Verlag Berlin.

Hier geht´s zum Teil I der Case Study!

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